Artenschutz – der Kampf um die Vielfalt

In den letzten Jahren ist in Deutschland das Bewusstsein in der Bevölkerung gewachsen, dass die Artenvielfalt geschützt werden muss. Diverse Volksbegehren machten Schlagzeilen, etwa unter dem Motto „Rettet die Bienen“. Viel verbessert hat sich seither aber nicht. Dabei gäbe es mehr denn je Handelsbedarf, um die drohende Katastrophe noch zu verhindern.

Was haben der Feldhase, die Bechsteinfledermaus und der Schweinswal gemeinsam? Antwort: Es könnte sie bald nicht mehr bei uns geben. Damit sind sie nicht allein, laut einem aktuellen Bericht des Bundesamtes für Naturschutz und des Rote-Listen-Zentrums sind rund ein Drittel aller Säugetierarten in Deutschland in ihrem Bestand gefährdet. Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Der Zustand der Tierbestände hat sich im Laufe der letzten zehn bis 15 Jahre verschlechtert. Im restlichen Europa sieht es nicht besser aus. Tatsächlich wurden die Ziele der 2010 verkündeten Biodiversitätsstrategie 2020 verfehlt. Ein Grund: Naturschutzrichtlinien und Umweltvorschriften werden nicht oder zu wenig umgesetzt.

Kleines Problem mit großen Folgen

Wald
Die EuroNatur Stiftung setzt sich für den Erhalt von natürlichen Schutzräumen ein, etwa großen zusammenhängenden Wäldern

An der Stelle setzt auch die EuroNatur Stiftung aus Radolfzell ein. Seit vielen Jahren kämpft sie dafür, dass politisch umgesteuert wird, gerade im Hinblick auf die Landwirtschaft. Denn dort beginnt das Aussterben der Lebewesen, die wir am wenigsten beachten: der Insekten. „Wir müssen unsere Landnutzung grundsätzlich transformieren, wenn wir das Insektensterben noch irgendwie aufhalten wollen“, erläutert Geschäftsführer Gabriel Schwaderer. „Die Landwirtschaft, die wir im Moment überwiegend und flächendeckend betreiben, mit höchster maschineller Intensität und viel Chemie, ist ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung.“ 

Ein Problem dabei ist, dass diese Entwicklung für viele unsichtbar bleibt. Um rund 70 Prozent hat die Biomasse der Insekten in den letzten Jahrzehnten abgenommen. Doch wer nimmt das im alltäglichen Leben wahr? Dabei sind die Folgen weitreichend, gerade bei Tieren, die weiter oben in der Nahrungskette stehen. Sind erst einmal die Insekten fort, verschwinden auch die Vögel, eine nicht zu kalkulierende Kettenreaktion tritt ein. „In der Ökologie hängt alles mit allem zusammen. Das ist ein bisschen wie beim Mikado. Wenn wir ein Stäbchen herausziehen, kann das gut gehen. Aber es kann auch alles zusammenbrechen. So ähnlich ist das in der Ökologie, die noch deutlich komplexer und komplizierter ist als ein Mikadospiel. Es ist brandgefährlich, in so kurzer Zeit so viele Arten auszurotten und damit aus dem Spiel zu nehmen, weil wir nicht wissen, welche Auswirkungen das haben wird“, warnt Schwaderer.

Eine Aufgabe von EuroNatur ist es daher, für ein stärkeres Bewusstsein einzutreten und für bessere Bedingungen zu kämpfen. Die andere ist es, selbst für geschützte Lebensräume zu sorgen. Große zusammenhängende Wälder in den Karpaten oder auf dem Balkan sollen den Tieren wieder den Lebensraum zugestehen, den ihnen die Menschen genommen haben. Aber auch frei fließende natürliche Flüsse sind von großer Bedeutung, ebenso Feuchtgebiete im Mittelmeerraum, wo sie eine zentrale Funktion erfüllen für den internationalen Vogelzug. Wie wichtig solche naturbelassenen Orte sind, wurde den Menschen dieses Jahr selbst bewusst. Aufgrund der Corona-Pandemie in ihren Reisezielen eingeschränkt, gab es einen Ansturm auf die nahe gelegenen Naturlandschaften in Deutschland. Für Gabriel Schwaderer eine zwar erfreuliche Rückbesinnung, die gleichzeitig aber neue Herausforderungen mit sich brachte und aufzeigt, wie groß die Sehnsucht nach intakter Natur ist, die heute viel zu selten geworden ist. „Wir müssen der Natur wieder mehr Raum geben.“

Mit Symbolen und kleinen Schritten

Auch bei der Heinz Sielmann Stiftung baut man darauf, dass die Bevölkerung in diesen überfälligen Wandel einbezogen wird. Zum Teil wurden in der Hinsicht auch schon erste Schritte gemacht, wie Pressesprecherin Nora Künkler erklärt. „Die diversen Volksbegehren der letzten Jahre zeigen, dass sich immer mehr mit dem Thema auseinandersetzen. Es ist ein wahnsinnig großer Schritt nach vorne, dass das Bewusstsein um die Notwendigkeit in der Bevölkerung angekommen ist. Darum haben Naturschützer in den letzten Jahrzehnten hart gekämpft. Die Erkenntnisse über den Artenschutz und den Klimawandel sind ja nicht neu. 

Biotop
Neue Biotope und naturbelassene Gebiete sind wichtige Bestandteile des Artenschutzes bei der Heinz Sielmann Stiftung

Gewusst haben wir das schon vor 30, 40 Jahren. Doch mit den Wildbienen als Zugpferd hat sich endlich etwas bewegt.“ Tatsächlich sind solche Symboltiere ein wichtiges Mittel bei dem Kampf gegen das Artensterben. Wer die großen und sympathischen Tiere schützt, schützt automatisch viele andere Arten, die nicht so augenscheinlich sind und denselben Lebensraum besetzen. Beispielsweise hat die Heinz Sielmann Stiftung auf einer großen Fläche den Wisenten ein Zuhause gegeben, die kurz vor dem Aussterben standen. Das wiederum kommt anderen zugute. Wenn sich ein Wisent im Sand suhlt, hinterlässt das Tier eine
riesige, offene Sandstelle, die von Wildbienen genutzt wird, die im Sand nisten.

Wer große Säugetiere schützt, schützt damit gleichzeitig viele andere Arten

Durch die schonende Beweidung mit den Wasserbüffeln wird im Naturschutz-gebiet Moosmühle die Artenvielfalt gefördert. Die Maßnahme ist Teil des Modellprojekts Sielmanns Biotopverbund Ravensburg

Aber es müssen nicht immer weitläufige Areale sein. Die Organisation hat beispielsweise gute Erfahrungen mit der Schaffung von Biotopen gesammelt, etwa am Bodensee. Die dienen als kleine Rückzugsorte für Arten, damit deren Lebensräume miteinander vernetzt sind. Rettungsinseln innerhalb der Kulturlandschaft. „Über 130 Biotop-Bausteine sind auf diese Weise entstanden“, führt Nora Künkler aus. „Das ist leicht umzusetzen und kostengünstig. Hier mal einen Weiher anlegen, dort eine Heckenstruktur, Fließgewässer miteinander vernetzen. Dem Wasser wieder mehr Raum geben. Das Konzept ist so überzeugend, dass wir es auf vier weitere Landkreise übertragen haben.“ Und auch die Menschen zu Hause können ihren Beitrag leisten, etwa durch einen bewussteren Einkauf. Wer zu Nahrungsmitteln greift, die bio, regional und saisonal sind, trägt dazu bei, dass ein entsprechender Markt entsteht und nachhaltiger Anbau attraktiver wird. Die Verantwortung für den Wandel liegt also nicht allein bei Politik und Landwirtschaft, sondern auch bei den Konsumenten und Konsumentinnen.

Für ein besseres Miteinander von Mensch und Tier

Elephant
Pro Wildlife unterstützt weltweit Projekte zum Schutz von Elefanten und Affen, setzt sich aber auch für eine bessere Regulierung beim Wildtierhandel ein

Wie überfällig dieser Wandel und ein Umdenken sind, bringt Daniela Freyer auf den Punkt, Diplom-Biologin und Mitbegründerin des 1999 gegründeten Vereins Pro Wildlife in München. „Wir erleben derzeit das größte Artenmassensterben seit dem Ende der Dinosaurier. Natürlich sind auch vor dem Auftauchen des Menschen Arten ausgestorben. Doch die Rate ist derzeit tausend Mal höher, als sie unter normalen Bedingungen wäre. Rund eine Million Arten werden nach aktuellen Prognosen in den nächsten Jahrzehnten unwiderruflich verschwinden.“ Dabei spielt neben dem Lebensraumverlust und dem Klimawandel auch die gezielte Jagd eine Rolle. Einer der Themenschwerpunkte der Organisation ist es daher seit der Gründung, den Handel mit Wildtieren oder Tierprodukten besser zu regulieren und ihn da zu verbieten, wo er bedenklich ist. Handlungsbedarf gibt es in der Hinsicht jede Menge, rund 75 Prozent der Tiere im Heimtierhandel sind überhaupt nicht geschützt. Das Ziel: Es sollten in Zukunft nur Arten gehandelt werden, bei denen es kein Risiko für den Naturschutz und den Gesundheitsschutz gibt.

Welche Auswirkungen die Missachtung dieser Risiken hat, das konnte dieses Jahr jeder beobachten. „Corona hat ein ganz anderes Schlaglicht auf die Thematik geworfen, wie Gesundheit und Naturschutz zusammenhängen“, führt Daniela Freyer aus. „Corona ist durch den Handel mit Wildtieren zu den Menschen gekommen. Es ist den Leuten dadurch bewusst geworden, dass es viele weitere Krankheitserreger gibt, die in den Tieren schlummern. Allein deswegen sollte allen klar geworden sein, wie dringend dieses Thema angegangen werden muss.“ Überhaupt setzt sich Pro Wildlife sehr für ein friedliches Miteinander von Mensch und Tier ein. Neben einem Projekt zum Schutz von Menschenaffen im Kongo und in Kamerun ist man an Auffangstationen von Elefanten in Sambia und Sri Lanka beteiligt. In Tansania wiederum wird ein Projekt unterstützt, welches das friedliche Zusammenleben von Mensch und Elefant fördern soll. Denn nur wenn wir lernen, uns den Raum zu teilen und die Natur zu respektieren, lässt sich die nahende Katastrophe noch verhindern.

Oliver Armknecht

Fotos: Matthias Schickhofer, Heinz Lehmann, Holger Spiering, Limbe Wildlife Center, International Animal Rescue, Game Rangers International.
Der Artikel erschien im Spendenmagazin 2020.

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