Seit dem terroristischen Überfall auf Israel ist Palästina zu einem Kriegsgebiet geworden und einem Ort schrecklichen Leids. Viele versuchen den Menschen dort zu helfen und bringen damit sich selbst in Lebensgefahr. Aussicht auf Besserung gibt es nicht.
Natürlich ist der israelisch-palästinensische Konflikt nicht neu. Seit dem UN-Teilungsplan 1947 hat es mehrere Kriege gegeben, trotz vieler Lösungsversuche kam es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Und doch war der Schock groß, als die radikalislamische Hamas am 7. Oktober 2023 Israel in einem bis dato ungeahnten Ausmaß angriff, weit mehr als 1.000 Menschen tötete, zahlreiche weitere verschleppte und unvorstellbare Gräueltaten beging. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten, die israelischen Truppen marschierten in den Gazastreifen und versuchen seither, die Hamas mit aller Gewalt auszulöschen. Während der Krieg sich immer weiter auszuweiten droht, die Angst vor einem Flächenbrand groß ist, ist die palästinensische Bevölkerung zwischen den Fronten gefangen. Wie viele bereits gestorben sind, lässt sich kaum sagen, Schätzungen gehen von mehreren Zehntausend aus. Der Rest durchlebt eine humanitäre Katastrophe: Die Häuser sind zerstört, es mangelt an Lebensmitteln und medizinischer Versorgung.
Notunterkunft als Luxus
Dabei versuchen zahlreiche Organisationen, dieses Leid zu lindern. Eine davon ist medico international: Seit vielen Jahren ist der Verein in Gaza tätig, hat gemeinsam mit der Palestinian Medical Relief Society ein großes Versorgungszentrum für Menschen mit chronischen Krankheiten aufgebaut. Schon während früherer Kriege kümmerte sich die Organisation um die Erstversorgung von Verwundeten, vor allem wenn Krankenhäuser nicht mehr funktionierten. Derzeit ist sie an über 50 Orten tätig, bei der Behandlung von akuten Krankheiten oder auch der Eindämmung von übertragbaren Krankheiten. Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Trinkwasser. Und auch bei der Unterbringung der vertriebenen oder ausgebombten Menschen wird geholfen, was mit großen Herausforderungen verbunden ist. Selbst Notunterkünfte sind zu einem Luxus geworden. „Man kann schon lange keine fertigen Zelte mehr kaufen. Das ist alles vom Markt verschwunden“, erklärt Riad Othman, Nahostreferent bei medico international. „Hinzu kommt der Verschleiß. Es gibt Familien, die in den letzten zwölf Monaten bis zu zehn Mal zur Umsiedlung gezwungen waren. Da muss oft improvisiert werden.“


In Gaza mangelt es inzwischen an allem: Wohnunterkünften, Wasser, Medikamenten, Lebensmitteln. Umso wichtiger sind Hilfslieferungen von medico international und Partnerorganisationen.
Die Möglichkeiten zur Unterstützung sind dabei vielfältig, reichen von der Versorgung mit Materialien bis zur Errichtung von Solaranlagen, um die Zeltstädte mit Strom zu versorgen. Ein Spezialfall unter den vielen Heimatlosen sind die zahlreichen Menschen, die eigentlich im Gazastreifen leben, aber zur Zeit des Überfalls im Westjordanland waren, sei es für die Arbeit oder weil sie medizinisch behandelt wurden. Noch immer sind mehr als 2.000 von ihnen dort gestrandet, weil sie nicht zurückkönnen oder -wollen, ihre Heimat längst zerstört wurde. Wichtig ist aber nicht nur die körperliche Versorgung. Auch bei der psychologischen Betreuung unterstützt medico international. Beispielsweise gibt es ein Programm, bei dem Kinder mit künstlerischen Mitteln das Erlebte aufarbeiten können, indem sie ihre Gefühle auf Papier bringen. Dabei sind selbst Erwachsene sprachlos. „Wir sind schon seit vielen Jahren in Gaza tätig, haben zum Teil seit 20 Jahren Partnerschaften in Gaza, ich selbst habe drei Jahre das Büro geleitet und humanitäre Hilfe koordiniert. Doch das, was derzeit dort geschieht, habe ich so nicht erlebt, auch weil Hilfslieferungen oft nicht mehr durchgelassen werden und die Arbeit der Organisationen behindert wird“, resümiert Riad Othman.
Wenn Helfende zu Vertriebenen werden
Auch andere Organisationen haben damit zu kämpfen, dass sie nicht in dem Umfang helfen können, wie sie es gern täten. Zu diesen zählt beispielsweise Caritas international. Die Auslandshilfe des Deutschen Caritasverbands ist schon seit vielen Jahren in Gaza aktiv. Aktuell versucht sie, Bedürftige mit Hilfsgütern zu versorgen. Doch das ist nur begrenzt möglich. So ist es zum einen schwierig, diese Güter in den Gazastreifen hineinzubekommen, weil die israelische Armee seit dem Terrorangriff sehr vorsichtig geworden ist und im Zweifel nichts mehr ins Land lassen will. Dies hat sich im Laufe der Zeit noch weiter verstärkt, teilweise sind Hilfslieferungen um 80 Prozent zurückgegangen. Auch die Verteilung ist mit großen Hindernissen verbunden. Dabei ist der Bedarf riesig, wie Patrick Kuebart, Referatsleiter Mittlerer Osten und Nordafrika bei Caritas international, erklärt. „Es gibt Bedarf an allem. Die Menschen haben kein Dach über dem Kopf, weil sie auf der Flucht sind. Sie haben nichts zu essen. Die hygienische Situation ist extrem schlecht, ohne sanitäre Versorgung. Bei all diesen Dingen versuchen wir zu unterstützen.“ Anfangs verteilte die Organisation Bargeldhilfen, als es noch etwas auf den Märkten zu kaufen gab und die Menschen sich selbst versorgen konnten. Das hat sich inzwischen geändert.

Auch für Caritas international heißt es daher, sich ständig anpassen zu müssen. Dabei kann das Hilfswerk auf die Expertise der Catholic Relief Services (CRS) zählen, des amerikanischen Caritasverbands, der in Gaza ein sehr gutes Netzwerk hat. Aber auch die rund 60 Mitarbeitenden der CRS in Gaza sind nicht vor den Auswirkungen des Krieges gefeit: Sie und ihre Familien wurden mehrfach vertrieben und suchen derzeit Zuflucht bei Gastfamilien, in Notunterkünften, Zelten oder auf dem Gelände von Kirchen und leisten unter schwierigsten Bedingungen weiterhin Hilfe. Dennoch arbeiten sie unermüdlich daran, selbst unter diesen extremen Bedingungen der unter dem Krieg leidenden Bevölkerung beizustehen, sei es bei der psychologischen Betreuung oder durch die Versorgung mit Hilfsgütern. Mehr als eine Million Menschen konnten so im Lauf des vergangenen Jahres unterstützt werden. „Aktuell konzentrieren wir uns auf Hygieneartikel wie Seifen oder spezielle Pakete für Frauen, also Artikel, die es für den täglichen Bedarf braucht. Ein weiterer wichtiger Punkt sind sogenannte Shelter Kits mit Materialien für Notunterkünfte, damit die Leute irgendwie ein Dach über dem Kopf haben“, fasst Patrick Kuebart die Situation zusammen.
Wohin mit den Verletzten?
Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung sind inzwischen vertrieben worden. Besonders verheerend ist die Situation für die vielen Kranken und Verletzten. Schließlich gibt es kaum noch Krankenhäuser, nachdem diese immer wieder gezielt angegriffen und dabei oft zerstört wurden. Die wenigen, die es noch gibt, können dem immensen Bedarf an medizinischer Hilfe kaum noch gerecht werden. Und so müssen viele Hilfsorganisationen Ersatzmöglichkeiten suchen oder schaffen. Als es beispielsweise im August in unmittelbarer Nähe des Al-Aksa-Krankenhauses zu einer Evakuierungsanordnung durch die israelischen Streitkräfte und einer Explosion in 250 Meter Entfernung kam, haben rund 650 Patienten und Patientinnen aus Angst um ihr Leben das Krankenhaus verlassen. Um diese dennoch versorgen zu können, hat Ärzte ohne Grenzen deshalb ein provisorisches Krankenhaus in wenigen Kilometern Entfernung eröffnet. Doch solche Einrichtungen können den Bedarf an medizinischer Versorgung kaum decken.
„Die massive Zerstörung der Gesundheitsinfrastruktur durch die israelischen Streitkräfte hat eine kumulative Wirkung. Jede nicht funktionsfähige Gesundheitseinrichtung erhöht den Druck auf die verbleibenden Einrichtungen und verringert den Zugang der Menschen zur Gesundheitsversorgung. Ohne einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand bleibt der Wunsch nach einer echten humanitären medizinischen Hilfe eine Illusion“, sagt Juliette Seguin, Einsatzleiterin von Ärzte ohne Grenzen. Seit 1989 ist die Organisation in den palästinensischen Gebieten aktiv, sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland. Trotz der widrigen Umstände, die bereits mehrere Mitarbeitende das Leben kosteten, während sie anderen halfen, geht der Einsatz für die Notleidenden weiter. So leistet Ärzte ohne Grenzen im Gazastreifen Notfallchirurgie, versorgt Verletzte, bietet Physiotherapie, medizinische Grundversorgung und Geburtshilfe sowie psychosoziale Unterstützung an. Allein im ersten Jahr wurden 27.500 Verletzte behandelt und 7.500 Notoperationen durchgeführt. Aber auch bei der Trinkwasserversorgung und bei der Errichtung von Sanitäranlagen ist die Organisation tätig, um die menschenunwürdigen Lebensbedingungen zu verbessern.
Unterschätzte mentale Probleme
Seit den 1990ern ist Ärzte der Welt im Gazastreifen aktiv und hat an vielen langfristigen Projekten im Gesundheitsbereich gearbeitet, sowohl selbstständig wie auch mit Partnerorganisationen und lokalen Gesundheitsbehörden. Der Fokus lag dabei auf Basisgesundheitsversorgung und psychosozialer Unterstützung. Viele Menschen in Gaza leiden unter der Isolation und der Perspektivlosigkeit. „Das ist ein Riesenthema, weil die lokalen Behörden wenig Erfahrung damit haben“, erläutert Anna Vodička, Projektreferentin Internationale Programme bei Ärzte der Welt. „Viele Menschen, denen es dort nicht gut geht, können nicht unterscheiden, ob das physische oder psychische Gründe hat. Um beispielsweise eine Panikattacke als solche zu erkennen, braucht es geschultes Personal. Auch die ständige Retraumatisierung ist ein Problem, bei dem es fachliche Unterstützung braucht.“ Seit dem Hamas-Überfall im Oktober 2023 und dem sich daran anschließenden Krieg hat sich das natürlich noch weiter verstärkt, vor allem Kinder leiden sehr stark, zumal auch Schulen geschlossen werden mussten. Und doch rückt die Versorgung der mentalen Gesundheit notgedrungen in den Hintergrund, wenn es erst einmal um das pure Überleben geht. Ärzte der Welt setzt die bisherigen Aktivitäten zwar fort, jedoch angepasst an diesen veränderten Kontext. Beispielsweise hat sich die Organisation an der von der UN koordinierten Polio-Impfkampagne beteiligt und betreibt fünf stationäre Arztpraxen, um das Gesundheitssystem am Leben zu erhalten. Eine wichtige Arbeit erledigen zudem die acht medizinischen Teams, die in den Notunterkünften beraten, chronisch kranke Menschen versorgen oder Medikamente verteilen.

Doch so wichtig der Einsatz für die Menschen in Gaza ist, dürfen hierbei die im Westjordanland nicht vergessen werden, wo sich die Lage ebenfalls seit dem Anschlag zugespitzt hat. Viele leben in ständiger Angst, zum Teil bedingt durch die Überfälle radikaler Israelis aus den Siedlungen, die noch immer illegal ausgebaut werden. Im Westjordanland arbeitet Ärzte der Welt seit vielen Jahren aktiv an der Integration mentaler Gesundheitsdienste in den bestehenden Gesundheitsstrukturen. Außerdem trägt Ärzte der Welt dazu bei, dass sich Menschen im Notfall selbst versorgen können, wie Anna Vodička betont. „Wichtig ist uns die Unterstützung kleiner Gemeinden, die abgeschnitten sind. Wenn dort etwas geschieht, kommen Ambulanzen aus den größeren Städten gar nicht erst ins Dorf oder müssen mehrstündige Umwege auf sich nehmen, weil Zufahrten gesperrt sind. Deswegen versuchen wir, die Menschen auf den schlimmsten Fall vorzubereiten.“ Dass dieser jeden Tag eintreten kann, hat das vergangene Jahr in Gaza und im Westjordanland wieder und wieder bewiesen.
Oliver Armknecht
Fotos: Mohammed Zaanoun/Activestills/medico international, Caritas international, Ärzte der Welt
Der Artikel erschien im Spendenmagazin 2024.