Starkregen, steigende Wasserpegel und Bäche, die sich in reißende Flüsse verwandelten und zu verheerenden Überflutungen auswuchsen, bei denen 184 Menschen ihr Leben verloren: Das Hochwasser im Sommer 2021 war eine der schwersten Umweltkatastrophen Deutschlands seit Jahrzehnten. Die Hilfsbereitschaft ist enorm, doch der Wiederaufbau hat gerade erst begonnen.
Jeder von uns hat noch die Bilder vor Augen, als die Hochwasserkatastrophe Mitte Juli dieses Jahres den Westen Deutschlands heimsuchte: braune Wassermassen, die sich durch Ortschaften wälzten und ganze Häuser mit sich rissen. Mittendrin verzweifelte Menschen, die von einem Tag auf den anderen alles verloren und vor den Trümmern ihrer Existenz standen.
Seitdem sind mehrere Monate vergangen, die akute Notfallversorgung wurde abgelöst von der Hilfe zum Wiederaufbau. Doch erst mit dem Rückgang der Wassermassen wurde das Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Wohnhäuser und Geschäfte wurden schwer beschädigt, Straßen, Brücken und Bahngleise von den Fluten weggerissen. Bis heute sind viele Häuser nicht bewohnbar, nicht alle Schulgebäude wieder nutzbar. Der Wiederaufbau wird Jahre dauern. Die betroffenen Familien und Kommunen werden langfristig auf Hilfe angewiesen sein. Und doch hat diese Katastrophe auch gezeigt, wie groß die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung war: Tausende freiwillige Helfer und Helferinnen strömten in die überfluteten Gebiete, halfen bei der Notversorgung und boten Betroffenen Hilfe und Obdach an. Und noch immer wird gespendet.
„Die Solidarität in der Bevölkerung war überwältigend. So eine außerordentliche Spendenbereitschaft habe ich noch nicht erlebt“, erzählt Dominique Mann, Geschäftsführer des Aktionsbündnisses Katastrophenhilfe, das insgesamt 87,7 Millionen Euro Spenden gesammelt hat und diese nun gleichberechtigt an seine Mitgliedsorganisationen Caritas International, Deutsches Rotes Kreuz und die Diakonie Katastrophenhilfe weiterleitet, die die Maßnahmen vor Ort umsetzen. Ausgelöst hat die herausragende Spendenbereitschaft Mann zufolge die Nähe zur Katastrophe, die Verbindung zu den betroffenen Menschen sowie die Berichterstattung, die direkt vor der Haustür stattgefunden hatte. „Es musste kein Korrespondent hingeflogen werden, die Journalisten sind aus den Redaktionen raus und standen mit den Füßen im Wasser, Schlamm und zerstörten Gebäuden. Die Katastrophe war für alle direkt greifbar. Das hat die Bereitschaft zu helfen extrem beeinflusst“, so die Einschätzung Manns.
Längerfristige Hilfe notwendig
Auch das Aktionsbündnis Aktion Deutschland Hilft wurde von einer Welle der Hilfsbereitschaft überrollt. Insgesamt 260 Millionen Euro Spenden konnten bisher eingesammelt werden. „Uns war von Anfang an klar, dass wir uns auf eine längerfristige Hilfe einstellen müssen. Man kann sich gar nicht vorstellen, was es alles an Herausforderungen gab und gibt. Beispielsweise gibt es noch immer Bedarf an Soforthilfen, weil manche Menschen noch keinen Antrag gestellt haben. Sei es, dass sie es nicht zu einer Antragsstelle geschafft haben, keinen Drucker oder keinen PC haben. Oder schlicht unsere Sprache nicht sprechen und nicht verstanden haben, was zu tun ist“, erzählt Geschäftsführerin Manuela Rossbach.
Unterstützung für Familien
Schwierigkeiten, von denen auch Dieter Grothues, Vorstandsmitglied des Vereins Aktion Kleiner Prinz e.V., berichtet. „Der bürokratische Aufwand sowohl für die Betroffenen als auch für uns als Organisation ist groß.“ Der Verein unterstützt Familien mit Kindern, deren Hausrat nicht elementarversichert war, finanziell bei der Wiederbeschaffung. 1.500 Euro an Finanzhilfe wird pro Kind gewährt, maximal 5.000 Euro pro Familie. Ziel ist es, dass von der Flut betroffene Familien mit Kindern möglichst schnell in ihre vertraute Umgebung zurückkehren können. Darüber hinaus hat sich der Verein der Unterstützung traumatisierter Kinder und Jugendlicher verschrieben und hilft etwa beim Wiederaufbau eines Therapiezimmers. Um die offene Kinder- und Jugendarbeit fortsetzen zu können, besorgte die Aktion Kleiner Prinz drei Bauwagen und für den Winter beheizbare Container, in denen das Angebot in Ahrweiler weiter stattfinden kann. Insgesamt 800.000 Euro wurden an die Aktion Kleiner Prinz hierfür bereits gespendet. Bisher sind mehr als 40 Anträge von betroffenen Familien gestellt worden. „Das ist für uns als kleine ehrenamtliche Organisation eine Herausforderung. Schließlich prüfen wir jeden Antrag mit einem zweiköpfigen Gremium vor Ort, um die Bedürftigkeit der Antragsteller und die Transparenz bei der Verwendung der Gelder sicherzustellen.“
Kommunen helfen
Doch nicht nur Hilfsorganisationen haben zu Spenden aufgerufen, auch Kommunen haben direkt Geld gesammelt. Nur wer entscheidet hier, wer wie viel bekommt? Und wer sorgt für Gerechtigkeit? In Erftstadt ist das unter anderem Peter Kamp. Der ehemalige Präsident des Oberlandesgerichts Köln unterstützt die Stadt als Ombudsmann bei der Verteilung der Spenden und versucht, bei Streitfällen Lösungen zu finden. „Ich bin Mittler zwischen der Stadtverwaltung und den Betroffenen. Ich vertrete sehr stark die Interessen der Geschädigten und versuche, ihre Nöte aufzugreifen und ihnen zu helfen.“ 7,7 Millionen Euro gingen seit Mitte Juli auf dem Spendenkonto von Erftstadt ein. Jeder Euro geht an die Betroffenen. Auch Kamp arbeitet ehrenamtlich ohne Aufwandsentschädigung. „Ich habe seit Anfang September weit über 100 Fälle bearbeitet. Ich zähle die Stunden nicht. Was anfällt, wird erledigt.“
Doch so einfach ist es nicht immer, schnell zu helfen. Vielen Betroffenen geht es zu langsam. „Zu bürokratisch“ ist der Vorwurf, der mancherorts laut wird. Manches aber lässt sich nicht beschleunigen. Nicht alle Häuser können sofort wiederaufgebaut werden, da die Hochwassergebiete teils neu ausgewiesen werden und unklar ist, ob überhaupt an derselben Stelle noch einmal gebaut werden darf. Hinzu kommen gesetzliche Bestimmungen, wie Dominique Man vom Aktionsbündnis Katastrophenhilfe erklärt: „Wir müssen den Prozess der Bereitstellung unserer Hilfe noch besser an die Betroffenen kommunizieren. Viele wundern sich, warum noch keine größeren Summen für den Wiederaufbau von Wohnraum bewilligt werden konnten.“
Vom Ausland lernen
Außerdem stellt sich die Frage, wie solche Katastrophen künftig verhindert oder reduziert werden können. Der internationale Erfahrungsschatz der Hilfsorganisationen kann hier mit einfließen. „Wir können von Ländern wie den Philippinen lernen, wo jeden Monat ein Taifun über die Inseln jagt. Dort sind die Schäden nicht so verheerend, denn die Menschen sind besser gewappnet. Deutschland ist in struktureller Hinsicht nicht auf solche Extremereignisse vorbereitet. Da können wir Hilfsorganisationen beraten und helfen“, so Mann.
Manuela Rossbach vom Aktionsbündnis Aktion Deutschland Hilft geht in ihrer Forderung noch weiter: „Der gesamte Katastrophen- und Bevölkerungsschutz muss neu organisiert werden. Ab dem ersten Tag muss eine zentrale Koordinationsstelle eingerichtet werden, die nicht nur an die Technik, sondern auch an das Soziale denkt. Es wäre jetzt äußerst wichtig, dass sich alle beteiligten Organisationen an einen Tisch setzen und darüber sprechen, was sich in der Zukunft verbessern lässt.“ So legitim der Blick in die Zukunft ist, so wichtig ist es aber auch, den Betroffenen nun über den Winter zu helfen und sie auch Monate nach der Katastrophe nicht alleine zu lassen. Das Wichtigste ist, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie nicht vergessen wurden, darin sind sich alle Hilfsorganisationen einig.
Bärbel Mees
Fotos: Phillip Köhler/DRK, Kai Kranich/DRK, Aktion kleiner Prinz
Der Artikel erschien im Spendenmagazin 2021.